Sofies Roman

Wir alle lieben Geschichten. „Erzähl mir eine Geschichte …“ Worte unserer Kindheit, die uns in fremde Welten entführten? Geschichten scheinen wie das Leben zu sein, aber das Leben selbst ist keine Geschichte. Es folgt keiner logischen Struktur, keinem geplanten Ablauf. Es lässt sich nicht vorhersehen, nicht rückblickend entschlüsseln. Es schlägt Haken, während wir noch glauben, seinen Kurs verstanden zu haben. Und doch greifen wir immer wieder auf Erzählung zurück, um das Unfassbare zu begreifen. Denn wahre Geschichten entstehen in der Vergangenheit. Sie werden aus der Zeit geboren, die hinter uns liegt. Der Erzähler taucht hinab in den Brunnen der Erinnerungen, hebt Worte und Bilder empor, lässt sie leuchten und verknüpft sie zu etwas Neuem. Die Geschichte von Sofie, Robert und Demian, die nicht um ihretwillen erzählt wurde, sondern weil sie erzählenswert scheint, weil sie erinnert und vergegenwärtigt werden muss, weil sie mit anderen Geschichten zusammenhängt und damit eine goldene Kette bildet, in der alles mit allem verbunden ist. Sie alle leben in Geschichten, ja, sie sind selbst Geschichten geworden. Jede Erzählung ragt tief ins Gedankenlose. Sie ist dort im Brunnen der Zeit so eingefüllt, dass es des Hinabsteigens bedarf, um die wenigen Leuchtperlen zu bergen, die dunklen Geschehnisse, Zusammenhänge und Hindernisse wieder sichtbar zu machen. Und doch ist das Dunkle, dem Urknall gleich, ein Hort der Schöpfung. Sofie, Robert und Demian sind die zarten Adern, die sich durch die Seiten ziehen. Sie sind Stimmen, Figuren, Sehnsüchte. Sie treten ein in das große Haus der Geschichten, ein Gebäude aus Worten, das immer weiterwächst, in dem jedes Leben einen Platz findet. Wir sind nicht in ein Nichts geworfen, und kein Nichts hält uns gefangen. Wir leben nicht nur – und wir sterben nicht einfach. Alles, was sich erzählen lässt, ist wahr. Es gibt kein Schweigen. Keine Logik, kein endgültiges Wort. Wir alle sind eine Geschichte.