Als prägende Lebensphase ist Kindheit in jedem Leben gegenwärtig. Kindheitsgeschichte ist entsprechend kein fernes Land der Vergangenheit, sondern mit grundsätzlichen gesellschaftlichen Fragen verknüpft: Welcher Wert wird einem Kind in seinen Lebensanfängen zugestanden? Wem ‘gehört‘ ein neues Kind? Wer darf was mit einem Kind nach den Regeln einer Gesellschaft machen? In Der Wert des Kindes. Lebensanfänge in der Neuzeit zeichnet Clemens Wischermann die markantesten Entwicklungen der Kindheitsgeschichte vom Ende der Vormoderne bis in die Gegenwart nach: Beginnend im 17. und 18. Jahrhundert folgt er zunächst den großen gesellschaftlichen Kontroversen über mordende oder liebende Mütter und die Gefahren des Überlebens außerhalb der Familie. Er zeigt anschließend, wie sich im 19. Jahrhundert die Konstellationen von Lebensanfängen dann grundlegend änderten: sowohl durch das zunehmend dominante Modell der ‘bürgerlichen‘ Familie als auch durch den Nationalstaat mit seinem biopolitisch motivierten Anspruch auf Kinder als Ressourcen der Macht. Im 20. Jahrhundert gerieten die bisherigen Konzepte von Kindeswert und Elternschaft erneut in die Krise. Wischermann erörtert dies zum einen an der ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts breit diskutierten Abtreibungsfrage, zum anderen an der ‘sexuellen Revolution‘ ab 1968, deren Befreiungsideologie kindlicher Sexualität den Eigenwert und die Bedürfnisse eines Kindes gerade nicht stärkte, sondern überging - mit fatalen Folgen: Nach der Jahrtausendwende häuften sich die Missbrauchsenthüllungen besonders in der katholischen Kirche; erst sie lösten paradoxerweise den gesellschaftlichen Durchbruch eines neuen Kindheitsverständnisses aus, das die Bedeutung sozialer Beziehungen im Unterschied zur autoritären Formung von Kindern betont. In Verbindung mit neuen Wegen der Reproduktionstechnologie wächst seither nicht nur der Wert des (Wunsch-)Kindes, sondern es werden zugleich neue Formen einer ‘sozialen‘ Elternschaft lebbar.
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